
"Es war kein Rausch. Es war Leere." – Ein ehrliches erstes Babyjahr
Autor: Nanda A.💛 Du brauchst gerade ein bisschen mehr Halt?
Dieser Beitrag spricht offen über emotionale Belastungen im ersten Babyjahr – darunter Gefühle von Überforderung, Unsicherheit oder ausbleibende Mutterliebe.
Bitte lies achtsam – und mach Pausen, wenn du sie brauchst. Wenn du spürst, dass dich deine Situation gerade stark belastet: Du bist nicht allein.
Wende dich bitte vertrauensvoll an deine Hebamme, deinen Arzt, einen dir vertrauten Menschen oder nutze professionelle Anlaufstellen:
• schatten-und-licht.de – Hilfe bei postpartalen Krisen
• elternsein.info – Informationen & Unterstützung rund ums Elternsein
Wenn du das Gefühl hast, dass dir der Boden unter den Füßen wegbricht, zögere nicht und wende dich an die Telefonseelsorge:
📞 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenfrei & anonym)
Du darfst Hilfe annehmen. Weil du zählst. 💛
Lesezeit: 8 Min.
Einleitung
Ich traf Anna und Leo an einem windigen Nachmittag. Ihr Sohn schlief gerade ein. Die Tassen klirrten leise, der Tee dampfte. Ich wusste, das hier würde kein Gespräch über Ratgeber-Tipps oder Montessori-Spielzeug werden. Es würde die Art von Begegnung werden, die unter die Haut geht. So viel hatte ich bereits aus unseren Chats mitgenommen.
Denn sie wollten ehrlich sprechen. Über das erste Babyjahr. Nicht so, wie man es oft liest. Sondern so, wie es sich für sie angefühlt hat.
"Ich dachte, da kommt etwas Großes. Stattdessen kam – nichts."
Anna beginnt, während sie an ihrem Tee nippt. Sie schaut nicht auf, als sie es sagt:
„Alle sprachen von diesem Rausch. Von der Liebe, die dich überfällt wie eine Welle. Von diesem Babyduft, der süchtig macht. Ich wartete. Und wartete. Aber da war nichts. Nur ein kleines Menschlein auf meiner Brust – und ein Gefühl der Fremde in meinem Herzen. Das war mein Anfang als Mama. Ich habe ihn angeschaut. Und gewartet, auf dieses warme Kribbeln. Auf Tränen der Rührung. Aber es kam nichts.“
Die Geburt war kompliziert, schmerzhaft. Danach war ihr Körper erschöpft. Ihr Geist leer. Der kleine Mensch auf ihrer Brust fremd.
„Ich hatte mir vorgestellt, dass ich sofort weiß, wie sich die Liebe als Mama anfühlt. Aber ich hatte auch Angst. Ich war überfordert. Und tief in mir – war ich enttäuscht von mir selbst.“
Die ersten Wochen vergingen wie im Nebel. Anna kämpfte mit dem Stillen, mit Schmerzen, mit dem Gefühl, in einem fremden Leben aufzuwachen. Alles wirkte unecht.
Leo: "Ich wollte der Fels sein – aber innerlich war ich weich wie Pudding"
Leo wirkt nach außen ruhig. Er lächelt oft, wenn er spricht. Doch zwischen den Sätzen liegen Pausen, die alles erzählen.
„Ich habe versucht, stark zu sein. Für Anna. Für unseren Sohn. Ich habe gewickelt, getragen, gekocht. Ich habe gesagt: Es wird besser, Schatz. Du machst das gut. Aber ehrlich gesagt? Ich hatte keine Ahnung, ob es besser wird.“
Er machte sich Sorgen. Um Anna, die oft in sich gekehrt und sichtlich mit sich selbst beschäftigt war. Um sich selbst, weil er sich ausgelaugt fühlte. Um das Baby, das ständig weinte und sich durch nichts beruhigen ließ.
„Ich habe mich nachts an die Wand gelehnt und gegoogelt: ‚Ist es normal, sein Baby als Mama nicht zu lieben?‘ – nur um die Seite dann wieder zu schließen, weil ich mich schämte.“
Ein Jahr aus Milch, Tränen und Schweigen
Die Tage verflossen. Anna konnte kaum zwischen Morgen und Abend unterscheiden. Ihr Kalender bestand aus Stillzeiten, Windeln und leeren Blicken. Funktionieren. Von einer Situation in die Nächste rutschen.
„Ich erinnere mich an eine Nacht. Er schrie stundenlang. Ich hielt ihn auf dem Gymnastikball und weinte einfach mit. Und ich dachte: Vielleicht bin ich einfach nicht gemacht für dieses Leben, Mutter zu sein.“
Sie redete wenig. Auch mit Leo nicht. Sie hatten kaum Streit – dafür waren sie zu müde. Aber auch keine Nähe. Nur ein Nebeneinander. Zwei Menschen in einer ständigen Ausnahmesituation.
Leo sagt: „Ich habe mich wie ein Statist gefühlt. Ich war da. Ich half. Aber ich fühlte mich nicht gebraucht. Ich vermisste meine Frau – obwohl sie direkt vor mir stand.“
Und doch war da dieses Flüstern
Der Wendepunkt kam nicht laut. Es war kein Film-Moment. Kein "Jetzt ist alles gut". Es war ein stiller Tag. Ihr Sohn war etwa vier Monate alt.
Anna erzählt:
„Ich saß mit ihm auf der Couch. Ich war so müde und traurig. Er schaute mich an – so direkt, so unverstellt. Und dann lachte er. Einfach so. Ich weiß noch, dass ich das in diesem Moment das erste mal fühlen konnte und dachte: Ich glaube ich kenne dich. Du bist meins.“
Von da an war es ein langsames Wachsen. Kein Rausch. Aber ein Rhythmus. Mal zwei Schritte vor, dann wieder einer zurück.
Leo merkte es auch. Anna wurde weicher, präsenter, aber auch wieder lebensfroher und "wacher". Und er traute sich mehr, sich selbst zu zeigen.
„Ich habe irgendwann zugegeben, dass ich wirkliche Angst habe. Dass ich mich überfordert fühle, mit der kompletten Situation. Und Anna hat einfach genickt.
Während Leo das erzählt, lehnt er sich ein wenig zurück. Er schaut kurz zur Seite, so, als würde er sich genau an diesen Moment erinnern. Dann sagt er leise: „Ich hab sie damals in den Arm genommen. Und wir haben einfach beide rotz und Wasser geheult.“
Er lächelt, als wolle er sagen: Es war nicht schön, aber es war echt. Und das hat uns weitergebracht.
„Wir mussten nicht stark sein – nur ehrlich. Das war der erste Abend, an dem wir uns wirklich ausgesprochen haben, nach Monaten“, sagt er. Und Anna ergänzt: „Ja, und nicht als Eltern, sondern einfach als wir.“
Von da an wurde nicht einfach alles leicht – aber leichter. Sie begannen, die Verantwortung zu teilen, sprachen häufiger offen über das, was sie innerlich bewegte. Es war kein plötzliches Happy End, sondern ein neues Miteinander, und mit der Zeit entstand ein neuer Rhythmus. Einer, der nicht perfekt war, aber ihr eigener. Schritt für Schritt wurden sie nicht nur Eltern – sondern auch wieder ein Team.
Die Liebe kam nicht als Sturm. Sondern als Morgenlicht
Heute, sagt Anna, liebt sie ihren Sohn mit jeder Faser. Aber sie hat gelernt: Liebe muss nicht laut beginnen. Sie darf sich Raum nehmen. Sie darf Zweifel überleben.
„Es ist wie mit einer Pflanze. Sie wächst nicht, wenn du sie anschreist. Aber wenn du sie gießt, auch wenn du müde bist – dann blüht sie irgendwann.“
Leo ergänzt: „Ich glaube, wir sind aneinander gewachsen. Nicht nur zu Eltern geworden. Sondern zu Partnern, die sich neu kennengelernt haben.“
Was ich für mich mitnehme
Ich bin nach Hause gegangen mit einem leisen Ziehen im Bauch. Nicht, weil ich mich genauso gefühlt habe wie Anna oder Leo – unsere Geschichten sind unterschiedlich. Aber etwas in ihren Worten hat etwas in mir angestoßen.
Auch ich kenne diese Momente, in denen man sich fragt, ob man dem gewachsen ist. Diese stillen Zweifel, die man nicht mal gegenüber sich selbst aussprechen möchte, aber doch fühlen kann. Und dieses unterschwellige Gefühl, dass das, was man gerade lebt, irgendwie „anders“ ist, als man es erwartet hat.
Vielleicht war es bei mir nicht die große Leere. Vielleicht war es eher dieses Gefühl, sich selbst zu verlieren. Sich zu fragen, wo die eigene Stimme geblieben ist – zwischen Wiegenliedern und Milchgeruch.
Was mich so bewegt hat an Anna und Leo war ihr Mut, das auszusprechen, was sonst oft verschwiegen wird. Und wie viel Licht darin steckt, wenn wir die Dunkelheit nicht mehr verstecken.
Ich wünsche mir, dass wir genau dafür mehr Raum schaffen. Für die Seiten vom Elternsein, die sich nicht gut in lustige Reels oder niedliche Anekdoten pressen lassen.
Denn auch das gehört dazu: Zweifel, Überforderung, Angst, Wut, das Gefühl, sich fremd zu sein im eigenen Leben. Nicht immer sichtbar – aber dennoch zutiefst real.
Wenn wir anfangen, auch darüber zu sprechen, dann geben wir anderen das Gefühl: Ich bin nicht falsch. Ich bin nicht allein. Ich darf fühlen, was ich fühle.
Und vielleicht ist genau das das größte Geschenk, das wir einander machen können.
Zusammenfassung
Viele Eltern erleben das erste Jahr mit Baby nicht als pure Glücksphase – sondern als herausfordernde Zeit voller Fragen, Erschöpfung und emotionaler Unsicherheit.
Anna und Leo zeigen mit ihrer Geschichte, dass es kein Ideal braucht, um eine starke Bindung aufzubauen. Liebe entsteht nicht immer sofort. Aber sie kann sich entwickeln – auf ihre eigene Weise. Und das ist genauso wertvoll.
Du möchtest dich noch tiefer mit dem Thema beschäftigen oder suchst nach Austausch?
Hier findest du weiterführende Infos, Erfahrungsberichte und Unterstützung rund um Elternsein, mentale Gesundheit und das erste Babyjahr.
www.schatten-und-licht.de – Hilfe bei postpartalen Krisen
www.elternsein.info – Informationen und Beratungsangebote
www.geborgen-wachsen.de – sanfte Wege in der Elternschaft
FAQ's
Ja, das ist gar nicht so selten, wie man denkt. Liebe kann Zeit brauchen – besonders nach einer Geburt, die kräftezehrend war. Deine Gefühle sind okay, auch wenn sie nicht „sofort“ da sind.
Das ist sehr individuell. Manche spüren es direkt, andere erst nach Wochen oder Monaten. Und beides ist vollkommen in Ordnung.
Wenn Gefühle wie Traurigkeit, Antriebslosigkeit oder emotionale Leere über mehrere Wochen anhalten – oder du dich selbst nicht mehr wiedererkennst – dann sprich bitte mit deiner Hebamme, deinem Arzt oder einer Beratungsstelle. Du musst da nicht allein durch.
Sprecht miteinander – auch wenn’s schwer fällt. Gefühle dürfen verschieden sein. Es hilft, einander zuzuhören, ohne gleich Lösungen zu erwarten.
Schon kleine Momente nur für dich können viel bewirken: ein Spaziergang allein, ein warmes Bad, ein ehrliches Gespräch mit einer Freundin. Du darfst dich selbst nicht verlieren – auch du zählst.
Du kannst dich an deine Hebamme, den Kinderarzt oder unabhängige Beratungsstellen wenden. Auf schatten-und-licht.de findest du speziell Hilfe bei Krisen nach der Geburt.
